Bislang herrschte in der medizinischen Fachwelt der Konsens, dass die Mehrzahl der Lungenentzündungen bei Krebspatienten auf die durch die Krankheit verursachte Schwächung des Immunsystems und die Exposition gegenüber multiresistenten Bakterien zurückzuführen ist, die die Lungeninfektion verursachen können. Die Idee war, dass diese Patienten anfälliger für Superbakterien sind, weil sie viel Zeit in Krankenhäusern verbringen.
Die brasilianischen Forscher beschließen, dies zu untersuchen und ihre Ergebnisse weisen auf ein anderes Szenario hin. Durch die Analyse der medizinischen Daten von 325 Krebspatienten, die mit einer Lungenentzündung in drei großen Krankenhäusern eingeliefert wurden, fanden sie eine niedrige Rate an multiresistenten Erregern – weniger als 14% der Patienten wiesen eine solche Infektion auf.
Die Daten legen nahe, dass das Vorhandensein von multiresistenten Bakterien nicht so wichtig ist, um die Entwicklung einer Lungenentzündung in dieser Gruppe von Patienten zu erklären. „In unserer täglichen Erfahrung in der medizinischen Klinik hatten wir diese Wahrnehmung bereits und unsere Studie hat sie bestätigt“, sagt der Arzt und IDOR-Forscher Jorge Salluh. „Der Schweregrad der Krankheit und die Organdysfunktion scheinen die besten Prädiktoren für das Ergebnis in dieser Population zu sein.“
Neue Protokolle
Die Entdeckung kann zur Entwicklung von sichereren und effektiveren Methoden zur Behandlung von Patienten führen und die Sterblichkeit von Menschen mit Krebs und Lungenentzündung senken. Aufgrund der bisherigen Vorstellung, dass multiresistente Erreger eine große Rolle bei der Entstehung von Lungenentzündungen bei Krebspatienten spielen, ist die heutige Behandlung für diese Population eine standardisierte Antibiotika-Therapie. „Wir geben den Patienten zwei oder drei Breitspektrum-Antibiotika, die gegen ein breites Spektrum von multiresistenten Bakterien wirken“, sagt Salluh. „Die Realität ist jedoch, dass die Häufigkeit der Bakterien je nach Region der Welt variiert und nicht alle Krebspatienten mit Lungenentzündung von Superbakterien befallen sind.“
Die Breitspektrum-Antibiotika-Therapie ist die erste Wahl der Ärzte, weil das Ergebnis der Tests, die routinemäßig zum Erregernachweis eingesetzt werden, 72h dauern kann. Ohne diese lange Wartezeit müssen Ärzte die Breitbandbehandlung wählen.
Dieser Ansatz kann jedoch zu Nebenwirkungen führen und bakterielle Resistenzen gegen Antibiotika hervorrufen. Wenn Bakterien häufig Antibiotika ausgesetzt sind, passen sie sich an diese an und sterben nicht mehr ab. Die bakterielle Antibiotikaresistenz ist eine der globalen Herausforderungen im Gesundheitswesen und wird von der WHO als Krise betrachtet.
Eine effizientere Behandlung
Die brasilianischen Forscher untersuchen nun neue Behandlungsprotokolle, die diese Situation lösen können. Eine der Optionen, die in Erwägung gezogen werden, ist es, schnellere Methoden zum Erregernachweis zu testen, die innerhalb von 6 Stunden ein Ergebnis liefern können.
Eine andere Maßnahme, die ihnen vorschwebt, ist die Durchführung einer breiteren Studie mit mehr Patienten, um Modelle zu entwickeln, die Patienten mit hohem Risiko für eine Infektion mit multiresistenten Bakterien identifizieren. Mit diesen Modellen wäre es möglich, Risikopatienten zu diskriminieren und ihnen die richtige Behandlung zukommen zu lassen. „Unser Ziel ist es, zu wissen, wie man die für jeden Patienten am besten geeignete Behandlung wählt“, schließt Salluh.