Der Axolotl, oder Ambystoma mexicanum, ist der ultimative Überlebenskünstler: Wenn ein Axolotl ein Bein, einen Schwanz oder ein Stück seines Herzens verliert, wächst das Körperteil nach und es bleibt keine Narbe zurück. Aber die robuste Kreatur ist vom Aussterben bedroht.

Der Axolotl ist auch ein Paradoxon des Naturschutzes: Die ikonische Kreatur ist Mexikos nationales Symbol und, da sie sich leicht in einem Aquarium fortpflanzt, ein beliebtes Haustier auf der ganzen Welt. So viele Axolotl leben in Gefangenschaft, dass bestimmte Restaurants in Japan den Axolotl als gebratenen Snack servieren. Viele Tausend Axolotl pro Jahr werden auch in der wissenschaftlichen Forschung eingesetzt: Wegen ihrer wundersamen Regenerationsfähigkeiten werden Axolotl in Laboren auf der ganzen Welt untersucht. Doch in den Xochimilco-Kanälen rund um Mexiko-Stadt, dem einzigen verbliebenen natürlichen Lebensraum des Axolotls, ist der Axolotl durch Umweltverschmutzung und den Verlust des Wasserlebensraums zu einem seltenen Anblick geworden.

Menschen und Axolotl haben schon lange eine ambivalente Beziehung. Als die Mexica oder „Azteken“ im dreizehnten Jahrhundert die Region um den Texcoco-See besiedelten und eine Inselstadt in der Mitte des Sees als ihre Hauptstadt errichteten, gedieh der Axolotl in und um das ausgeklügelte Kanalsystem. Das Tier ist nach dem aztekischen Gott „Xolotl“ benannt, der sich in einen Axolotl verwandelt haben soll, um nicht geopfert zu werden (obwohl Axolotl weiterhin getötet und gegessen wurden). Als das Aztekenreich wuchs, wuchs auch die Hauptstadt, und der See schrumpfte. Alles, was heute vom Texcoco-See übrig ist, sind verschmutzte Kanäle und kleine Seen in Xochimilco, einem südlichen Stadtteil von Mexiko-Stadt.

Und mit dem Verschwinden der Feuchtgebiete verschwand auch der Axolotl. Die erste robuste Zählung der Axolotl im Jahr 1998 schätzte, dass auf einem Quadratkilometer etwa 6.000 Tiere lebten. Als der Ökologe Luis Zambrano von der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko (UNAM) 2015 eine Zählung durchführte, fand er nur noch 35 pro Quadratkilometer.

Der Axolotl ist die älteste sich selbst erhaltende Labortierpopulation der Welt.

Dieser dramatische Rückgang bedroht den Axolotl auch dort, wo er gedeiht, in Aquarien und Laboren rund um den Globus. Im Jahr 1804 schickte der Wissenschaftler Alexander von Humboldt zwei in Alkohol konservierte Exemplare nach Paris. Schon Humboldt und andere frühe Forscher bemerkten eine weitere Besonderheit des Axolotl: Während andere Salamander bei Erreichen der Geschlechtsreife zu Landlebewesen metamorphieren, halten Axolotl an ihren gefiederten Kiemen fest und bleiben ihr ganzes Leben im Wasser. In den Worten von Stephen Jay Gould sind Axolotls „geschlechtsreife Kaulquappen“

Axolotls kamen in die Labore, als eine französische Expedition 1863 34 von ihnen an das Naturhistorische Museum in Paris verschiffte. Fünf Männchen und ein Weibchen wurden an den französischen Zoologen Auguste Duméril weitergegeben, dem es gelang, sie mit großem Erfolg zu züchten. Duméril verteilte Axolotl an Institutionen und Einzelpersonen in ganz Europa. Verschiedene Labore züchteten sie im Laufe des letzten Jahrhunderts, was den Axolotl zur ältesten sich selbst erhaltenden Labortierpopulation macht.

Faszinierende – und etwas groteske – Experimente aus den letzten 150 Jahren brachten uns viele Informationen über die Regenerations- und Heilungsfähigkeit des Axolotls. So regenerieren sich zum Beispiel amputierte Axolotl-Gliedmaßen vollständig, und selbst nach mehrfachen Amputationen sind sie so funktionsfähig wie die ursprüngliche Gliedmaße. Die Zellen des Axolotls „wissen“, welche Struktur nachwachsen muss: Wenn ein Arm auf Höhe der Schulter amputiert wird, wächst der gesamte Arm nach. Wird der Arm jedoch am Ellenbogen amputiert, wachsen nur der Unterarm und die Hand nach; wird der Arm am Handgelenk amputiert, wächst nur die Hand nach.

Weitere grundlegende Experimente gingen noch weiter. Wenn regenerierendes Gewebe von einer amputierten linken Gliedmaße auf eine amputierte rechte Gliedmaße verpflanzt wird und umgekehrt, wachsen dem Axolotl seltsamerweise drei neue Gliedmaßen statt nur einer – zwei davon sind sogenannte „überzählige Gliedmaßen“. Vielleicht noch erstaunlicher ist, dass Axolotl transplantierte Köpfe empfangen können, ohne dass es zu Abstoßungsproblemen kommt.

Dies mag wie die Labornotizen eines verrückten Wissenschaftlers erscheinen, aber die (etwas grotesken) Experimente, die diese Regenerationsfähigkeiten aufdeckten, waren eine wesentliche Grundlage für das Verständnis, wie Regeneration bei Axolotl funktioniert – und warum sie bei Säugetieren nicht funktioniert. Bei Säugetieren (wie uns Menschen) bilden sich schnell Narben, die die Regeneration von Gewebe verhindern. Der Axolotl hingegen kann tiefe Gewebswunden ohne Narbenbildung reparieren. Das verdankt er dem Blastema, einer Gruppe von Zellen, die die Amputationswunde bedecken. Während bei Säugetieren Makrophagen, eine Art von Immunzellen, die tote Zellen verschlingen, für die Narbenbildung verantwortlich sind, fanden die Wissenschaftler heraus, dass beim Axolotl diese Makrophagen für seine bemerkenswerte Wundheilung und Regeneration unerlässlich sind. Dieses Blastem ist auch der Grund, warum der Axolotl ein gebrochenes (oder abgeschnittenes) Herz nachwachsen lassen kann.

Die Forscher haben in mühevoller Kleinarbeit entschlüsselt, wie Moleküle die Regeneration von Axolotl-Gliedmaßen orchestrieren, obwohl noch viele Fragen offen sind. Doch Regenerationsbiologen beschränken sich nicht auf den Axolotl, sondern versuchen zu verstehen, warum Säugetiere so schlecht regenerieren können. Ausgewachsene Mäuse und Menschen können Fingerspitzen regenerieren, eine Fähigkeit, die sie mit zunehmendem Alter verlieren. Das gibt Hoffnung, dass die Forscher irgendwann unsere regenerativen Fähigkeiten wiedererwecken können.

Aber es ist unbekannt, wie lange die Forscher noch mit dem Axolotl arbeiten können: Wie viele Labortiere sind sie hoch ingezüchtet, was ihr Überleben bedrohen könnte. Um zu messen, wie klein ein Genpool ist, verwenden Wissenschaftler einen „Inzuchtkoeffizienten“: Eineiige Zwillinge haben einen Inzuchtkoeffizienten von 100, völlig unverwandte Individuen einen Koeffizienten von Null. Für ein gesundes Wachstum sollte eine Population in Gefangenschaft einen Koeffizienten von maximal 12,5 haben. Die notorisch inzüchtigen spanischen Habsburger hatten einen Koeffizienten von 20; der Koeffizient für Axolotl liegt bei 35.

Der hohe Inzuchtgrad des Axolotl ist zum Teil eine Folge seiner Geschichte. Die heute in Laboren verwendeten Axolotl gehen auf die fünf Individuen zurück, die 1863 nach Paris verschifft wurden. Von dort aus wurden die Axolotl in ganz Europa und später in den USA verteilt, wo die Labor-Axolotl gelegentlich mit wilden Axolotl gekreuzt wurden. Diese Axolotl bilden die Grundlage für die mehr als 1.000 erwachsenen und jungen Axolotl, die im Ambystoma Genetic Stock Center an der Universität von Kentucky gehalten werden, das jedes Jahr Zehntausende Axolotl-Embryonen an Forschungslabore in aller Welt verschickt. Zusammen mit den schwindenden Beständen in freier Wildbahn beschwört der kleine Genpool einen perfekten Sturm herauf, der diese Tiere bedrohen könnte.

Eine Krankheit oder ein versehentliches Feuer könnte diese empfindliche Population auslöschen. Eine rätselhafte Krankheit hat zum Beispiel die Axolotl-Larven in einigen Labors und in der Zuchtstation getötet. Neue Genvarianten, die es dem Axolotl ermöglichen, der Krankheit zu widerstehen, wären eine Lösung. Doch woher sollen neue Genvarianten kommen, wenn nicht aus der bedrohten Wildpopulation im Xochimilco-See? Der Verlust der Labor- und Wildpopulationen wäre ein erheblicher Rückschlag für die Regenerationsstudien.

Das wäre ein unglückliches Timing, da die Axolotl-Forschung gerade erst zwei Durchbrüche gefeiert hat: die Anwendung der genetischen Schere CRISPR/Cas9 und die Entschlüsselung des Genoms. Mit CRISPR/Cas9 können Forscher DNA-Bausteine in verschiedenen Tieren und Pflanzen präzise und einfach verändern. Erst kürzlich zeigten die Regenerationsbiologin Elly Tanaka und ihr Team, wie sie mit dieser Schere gezielt Gene in das Axolotl-Genom integrieren können. Anders als bei anderen Labortieren, wie der Maus, dem Zebrafisch oder der Fruchtfliege, war es den Forschern lange Zeit nicht möglich, Axolotl-Gene gezielt zu verändern. Mit der CRISPR/Cas9-Schere können Axolotl-Biologen nun gezielt Zellen farblich markieren und bei der Regeneration beobachten.

Während das menschliche Genom bereits 2003 entschlüsselt wurde, blieb das Axolotl-Genom bis Anfang 2018 unerreichbar. Das 32-Gigabasen-Paare umfassende Axolotl-Genom ist etwa zehnmal so groß wie das menschliche Genom – das größte bisher entschlüsselte Genom. Mit dem exakten genetischen Code des Axolotls in der Hand können die Forscher völlig neue Fragen stellen. Warum kann sich der Axolotl regenerieren und die Maus nicht? Wie hat sich das Genom der Maus so verändert, dass eine Regeneration nicht möglich ist? Die Antworten auf diese Fragen werden die Strategie bestimmen, mit der man versuchen wird, die Regeneration bei Mäusen – und vielleicht auch beim Menschen – herbeizuführen.

Raubfische, die von den Vereinten Nationen im Xochimilco-See ausgesetzt wurden, picken junge Axolotl ab.

Aber im Xochimilco-See sieht es nicht so aus, als ob sich die wilde Axolotl-Population als Ganzes schnell oder einfach erholen wird. Der Ökologe Luis Zambrano führt den rapiden Rückgang des Axolotls auf zwei Hauptbedrohungen zurück: nicht-heimische Fische und Verschmutzung. Karpfen und Tilapia wurden in den 1970er und 80er Jahren durch Programme der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen in Xochimilco eingeführt, um mehr Proteine in die lokale Ernährung zu bringen. Aber während diese Raubfische gedeihen, picken sie junge Axolotl ab.

Zambrano hat kartiert, wo es noch Axolotl gibt und sieht einen Plan vor, bei dem lokale Fischer diese Gebiete wiederholt von Fischen säubern, um den Axolotl Zeit zu geben, sich wieder anzusiedeln. Obwohl die Einführung von Axolotls aus erfolgreichen Laborpopulationen eine verlockende Idee sein mag, warnt Zambrano davor: „Es ist effektiver, Schutzgebiete zu schaffen, in denen die vorhandenen Axolotls überleben und vielleicht sogar gedeihen können“, sagt er.

Die Verschmutzung ist schwieriger zu bekämpfen. Wann immer ein Sturm die veralteten Abwassersysteme von Mexiko-Stadt füllt, spülen Überläufe aus den Kläranlagen die Kanäle von Xochimilco mit Ammoniak, Schwermetallen und anderen giftigen Chemikalien. Axolotls atmen zum Teil durch ihre sehr durchlässige Haut, was sie besonders anfällig für Verschmutzung macht. Obwohl Zambrano und andere, wie die örtliche Zoologin Virginia Graue, versucht haben, die Anzahl der Axolotl zu erhöhen.

In Julio Cortazars Kurzgeschichte Axolotl aus dem Jahr 1952 ist der Erzähler vom Axolotl fasziniert: „Die Augen der Axolotl sprachen zu mir von der Gegenwart eines anderen Lebens, einer anderen Art zu sehen. Ich klebte mein Gesicht an das Glas (der Wärter hustete ab und zu umständlich) und versuchte, diese winzigen goldenen Punkte besser zu sehen, diesen Eingang in die unendlich langsame und ferne Welt dieser rosigen Geschöpfe.“ Wenn die Schutzbemühungen nicht verstärkt werden, könnte diese abgelegene Welt für immer verloren sein.

Dieser Artikel wurde ursprünglich auf JSTOR Daily veröffentlicht.

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