Schieles Porträtkunst und Narzissmus

Schiele war besessen von seinem eigenen Gesicht (doppelte und dreifache Selbstporträts) und vor allem von seinem Körper, ebenso wie von denen seiner oft sehr jungen Modelle. Die Behandlung ist scharf und nervös, mit schrillen Farben (Sitzender männlicher Akt, Feder und Gouache, 1910, Wien, Privatsammlung; Akt Mann mit ausgebreiteten Beinen, 1914, Bleistift und Gouache, Albertina). Der Akzent liegt auf den Genitalien, den leichenblassen Gesichtern, den gespreizten und gestreckten Fingern, den Posen der im Endspurt zusammengeschweißten Liebenden (Selbstbildnis mit gespreizten Fingern, 1911, Historisches Museum der Stadt, Wien; Zwei Liebende, 1913, Privatsammlung).

Schieles Malerei war intensiv und individuell. Sie konzentriert sich auf körperlich intensive Sujets, hauptsächlich Porträts (darunter viele Selbstporträts gegen Ende seines Lebens). Seine Figuren wirken isoliert, ihre Körper verrenkt, ihre Gesichter hager und in Gedanken versunken. Durch die Verformung seines Motivs und den Einsatz von Verkürzungstechniken eliminiert er oft ihre Gliedmaßen, was das Gefühl der Beunruhigung noch verstärkt. Die Frauen sind offenkundig körperlich und konfrontativ, sie öffnen ihre Beine für den Künstler und den Betrachter. Selbst heute können seine Arbeiten noch schockierend wirken – geschweige denn vor 100 Jahren!

Authentischer als bei Edvard Munch (1863-1944) sind in Schieles Welt Liebe und Tod miteinander verbunden. Gewisse komplizierte Posen sind bei Bildhauern wie Georges Minne (1866-1941) und Auguste Rodin (1840-1917) entlehnt, einige Themen bei Munch (1863-1944) (Tote Mutter I, 1910, Wien, Privatsammlung) und bei Van Gogh (1853-90) (Sonnenblumen; Das Künstlerzimmer in Neulengbach, 1911, Historisches Museum der Stadt, Wien), aber die zweidimensionale Komposition und der ebenso zarte wie straffe Anschlag sind enorm wirkungsvoll.

Gefängnisaufenthalt

Die kompromisslose Art seiner Ölmalerei zog heftigen Widerstand auf sich und brachte dem Künstler drei Wochen Gefängnis (April-Mai 1912) ein, die ihn nachhaltig prägten (Selbstbildnis als Gefangener, Bleistift und Aquarell, 1912, Albertina). Seine Kunst wurde aber auch von anderen Künstlern und in progressiven Kreisen anerkannt. Zu seinen weiteren Porträtbildern gehören Schwangere Frau und Tod (1910, Narodni Galerie, Prag), Selbstbildnis mit schwarzer Vase (1911, Historisches Museum der Stadt, Wien), Agonie (1912, Pinakothek, München), Tod und Mädchen (1915, Österreichische Galerie, Wien) und Sitzende Frau mit angezogenen Beinen (1917, Narodni Galerie, Prag).

Landschaftsbilder

Einige von Schieles Landschaftsbildern zeigen die gleiche Spannung wie seine Akte (Herbstbaum, 1909, Hessisches Landesmuseum, Darmstadt). Einige, die einen ruhigeren Realismus zeigen (Vier Bäume, 1917, Österreichische Galerie), erinnern an jene von Ferdinand Hodler (1853-1918). Nicht wenige, inspiriert von der alten Stadt Krumau, nehmen in ihrer geometrischen Komposition und Farbgebung die Lyrik von Paul Klee (18791940) vorweg (Fenster, 1914, Osterreichische Galerie, Wien; Landschaft in Krumau, 1916, Galerie der Moderne, Linz).

Endliche Jahre: Heirat, kommerzieller Erfolg

Im Jahr 1915 heiratete Schiele und er begann, einfühlsame Porträts seiner neuen Frau zu malen, die einen eher naturalistischen Ansatz zeigen. Dieser Stil fand mehr Anklang und in den nächsten Jahren erhielt er immer mehr Aufträge für Porträtkunst. Um 1918 begann er, einen bis dahin schwer fassbaren, kommerziellen Erfolg zu erleben. Er wurde eingeladen, an der 49. Ausstellung der Secession in Wien teilzunehmen, die ein triumphaler Erfolg war. Leider verließ ihn das Glück früher, als er es sich gewünscht hätte. Später im Jahr erkrankten er und seine schwangere Frau an der Spanischen Grippe und starben innerhalb von 3 Tagen (zusammen mit 20 Millionen anderen Europäern, die an der Grippeepidemie starben). Seine letzten expressionistischen Porträts stehen Klimt nahe in ihrem Sinn für größeres Volumen und ihrer Beschäftigung mit einer weniger missbrauchten Realität (Porträt von Albert Paris von Gutersloh, 1918, Minneapolis Institute of Arts; Die Familie, 1918, Osterreichische Galerie, Wien).

Als Künstler

Ein Hauptvertreter des österreichischen Expressionismus, zusammen mit Klimt und Oskar Kokoschka (1886-1980) (dessen „psychologische Porträts“, die zur gleichen Zeit wie seine gemalt wurden, eine weniger bohrende Grausamkeit zeigen), ging Schiele über die Erotik von Die Brucke hinaus durch seine unerbittliche Weigerung, Zugeständnisse zu machen, und seine klare Einschätzung von anderen und von sich selbst.

Die Kunst Schieles, der zu den bedeutendsten Porträtkünstlern des 20. Jahrhunderts zählt, ist zeitlos aktuell. Obwohl er nur 28 Jahre lebte, war er enorm produktiv und malte mehr als 300 Gemälde und Tausende von Arbeiten auf Papier. Gerade das, was seine Kunst in den frühen Jahren unbeliebt machte – die hässlich verzerrten Körper, die persönlichen Ängste und die unverhüllte Erotik – sind genau die Qualitäten, die seine Kunst überdauern lassen. Er sah die menschliche Figur oder den Geist eher als Tier denn als moralischen Menschen und bestand auf absoluter Freiheit für kreative Individualität und Selbstbestimmung.

Als Maß für seine Statur als einer der Top-Künstler der Moderne erzielte eines seiner weniger bedeutenden Werke, Wilted Sunflowers, 2006 bei Christie’s einen Preis von 10,7 Millionen Dollar. Siehe auch: Die teuersten Gemälde: Top 20.

Sammlungen

Heute gilt Schiele als einer der größten Maler des 20. Jahrhunderts im Bereich der gegenständlichen Malerei, seine einzigartigen Gemälde und Zeichnungen hängen in den besten Kunstmuseen der Welt. Als Schlüsselfigur der expressionistischen Bewegung in Österreich ist er in Wien besonders stark vertreten, vor allem in der Osterreichischen Galerie und der Albertina in Wien.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.