Was ist Logotherapie/Existenzanalyse?

Autor: Alexander Batthyány

Die Entwicklung der LTEA reicht bis in die 1930er Jahre zurück. Auf der Grundlage der Psychoanalyse von Sigmund Freud und der Individualpsychologie von Alfred Adler legte der Psychiater und Neurologe Viktor Emil Frankl (1905-1997) die Grundlagen eines neuen und originellen Ansatzes, den er 1938 erstmals veröffentlichte. Die Logotherapie/Existenzanalyse, manchmal auch als „Dritte Wiener Schule der Psychotherapie“ bezeichnet, ist ein international anerkannter und empirisch fundierter sinnzentrierter Ansatz in der Psychotherapie.

In der Logotherapie/Existenzanalyse (LTEA) wird die Suche nach dem Sinn des Lebens als die primäre motivierende Kraft im Menschen identifiziert.

Frankls Ansatz stützt sich auf drei philosophische und psychologische Konzepte:

  • Willensfreiheit
  • Wille zum Sinn
  • Sinn im Leben

Willensfreiheit des Willens

Nach LTEA ist der Mensch nicht vollständig den Bedingungen unterworfen, sondern grundsätzlich frei zu entscheiden und in der Lage, zu inneren (psychologischen) und äußeren (biologischen und sozialen) Bedingungen Stellung zu beziehen. Freiheit wird hier definiert als der Raum der Gestaltung des eigenen Lebens innerhalb der Grenzen der gegebenen Möglichkeiten. Diese Freiheit leitet sich aus der spirituellen Dimension der Person ab, die über die Dimensionen des Körpers und der Psyche hinaus als der wesentlich menschliche Bereich verstanden wird. Als spirituelle Person ist der Mensch nicht nur ein reagierender Organismus, sondern ein autonomes Wesen, das fähig ist, sein Leben aktiv zu gestalten.

Die Freiheit der menschlichen Person spielt in der Psychotherapie eine wichtige Rolle, indem sie den Klienten auch bei somatischen oder psychischen Erkrankungen Raum für autonomes Handeln bietet. Und es ist genau diese Ressource, die es den Klienten im Rahmen der Techniken der Paradoxen Intention und der Dereflexion ermöglicht, mit ihren Symptomen umzugehen und wieder Kontrolle und Selbstbestimmung zu erlangen.

Wille zum Sinn

Menschen sind nicht nur frei, sondern vor allem frei zu etwas – nämlich zur Erreichung von Zielen und Zwecken. Die Suche nach Sinn wird als die primäre Motivation des Menschen gesehen. Wenn ein Mensch seinen „Willen zum Sinn“ in seinem Leben nicht verwirklichen kann, erlebt er ein abgründiges Gefühl der Sinnlosigkeit und Leere. Die Frustration des existentiellen Bedürfnisses nach sinnvollen Zielen führt zu Aggression, Sucht, Depression und Suizidalität und kann psychosomatische Erkrankungen und neurotische Störungen hervorrufen oder verstärken.

Logotherapie/Existenzanalyse unterstützt Klienten dabei, die Faktoren wahrzunehmen und zu beseitigen, die sie daran hindern, sinnvolle Ziele in ihrem Leben zu verfolgen. Klienten werden für die Wahrnehmung von Sinnpotentialen sensibilisiert, es werden ihnen jedoch keine konkreten Bedeutungen angeboten. Vielmehr werden sie bei der Verwirklichung der von ihnen selbst entdeckten Sinnmöglichkeiten angeleitet und unterstützt.

Sinn im Leben

LTEA basiert auf der Idee, dass Sinn eine objektive Realität ist, im Gegensatz zu einer bloßen Illusion, die im Wahrnehmungsapparat des Betrachters entsteht. Nach LTEA ist der Mensch aufgrund seiner Freiheit und Verantwortung dazu aufgerufen, das bestmögliche in sich selbst und in der Welt hervorzubringen, indem er den Sinn des Augenblicks in jeder Situation wahrnimmt und verwirklicht. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass diese Sinnpotenziale zwar objektiver Natur sind, aber an die jeweilige Situation und Person gebunden sind und sich daher ständig verändern. LTEA erklärt oder bietet also nicht irgendeinen allgemeinen Sinn des Lebens an. Vielmehr wird dem Klienten geholfen, die Offenheit und Flexibilität zu erlangen, die es ihm ermöglicht, seinen Alltag sinnvoll zu gestalten.

Therapeutische Techniken in der LTEA (Auswahl)

Paradoxe Intention

Indikationen: vor allem Zwangsstörungen und Angstzustände, auch vegetative Syndrome.
Angeleitet durch den Arzt oder Therapeuten lernen die Klienten, ihre Zwänge oder Ängste durch Selbstdistanzierung und humorvolle Übertreibung zu überwinden und so den Teufelskreis von Symptom und Symptomverstärkung zu durchbrechen.

Dereflexion

Indikationen: Sexualstörungen und Schlaflosigkeit, auch Angststörungen.
Instinktive, automatische Abläufe werden durch übertriebene Selbstbeobachtung gehemmt und behindert. Umgekehrt werden manche leichten und begründeten Empfindungen von Angst oder Traurigkeit durch die Selbstbeobachtung verstärkt, so dass sie noch stärker auffallen und eine noch intensivere Beobachtung hervorrufen. Es ist der Zweck der Dereflexion, diesen neurotisierenden Kreislauf zu durchbrechen, indem die Aufmerksamkeit des Klienten vom Symptom oder dem natürlich ablaufenden Prozess weggelenkt wird.

Sokratischer Dialog / Modifikation von Einstellungen

Bestimmte Einstellungen und Erwartungen können Hindernisse für die Sinnerfüllung sein. Sie können einen Menschen von den Sinnpotentialen in seinem Leben entfremden und damit neurotische Störungen verstärken oder sogar durch wiederholte Fehlentscheidungen und Bildung von Verhaltensmustern hervorbringen.

Es ist wichtig zu beachten, dass der Therapeut oder Arzt darauf verzichten muss, seine eigenen Werte oder Sinnvorstellungen aufzudrängen. Vielmehr werden die Klienten angeleitet, ihre unrealistischen und kontraproduktiven Einstellungen wahrzunehmen und eine neue Sichtweise zu entwickeln, die eine bessere Grundlage für ein erfülltes Leben sein kann.

Der sokratische Dialog ist eine von Logotherapeuten häufig eingesetzte Gesprächsmethode. Gezielte Fragen zielen darauf ab, die Möglichkeit, einen Sinn im Leben zu finden, und die Freiheit, diesen zu erfüllen, ins Bewusstsein zu heben. Im philosophischen Umfeld wurde diese Technik des Führens durch Fragen von Sokrates eingeführt, der sie als eine Art „spirituelle Hebammenkunst“ bezeichnete.

Lexikon der LTEA

Logotherapie

Das griechische Wort „logos“ wird hier im Sinne von „Sinn“ verwendet; die ebenso gültigen Übersetzungen „Wort“ oder „rationale Ordnung“ sind nicht hilfreich, um die Lehren der LTEA zu erklären. Insbesondere versucht der Logotherapeut nicht, den Klienten durch logische Argumentation zu überzeugen, sondern hilft ihm, seinen spezifischen und individuellen Sinn zu erkennen.

Logotherapie ist angewandte Therapie auf der Grundlage des von Viktor Frankl entwickelten psychologisch-anthropologischen Modells.

Existenzanalyse

Die EIA kann sowohl als philosophische und wissenschaftliche Grundlage der Logotherapie als auch als wesentlicher Bestandteil einer Therapie selbst verstanden werden.

Grundlegend bedeutet Existenzanalyse die Analyse in Bezug auf das Dasein bzw. die „Explikation des Daseins“ mit Blick auf ein selbstverantwortliches, selbstverwirklichtes und menschenwürdiges Leben.

In der „allgemeinen Existenzanalyse“ wird das Streben nach Sinn diskutiert und als Grundmotivation des Menschen identifiziert, und es werden Argumente geliefert, die die grundsätzliche Möglichkeit der Sinnfindung im Leben belegen. Auf dieser Grundlage lassen sich die therapeutischen Wirkungen einer erfolgreichen Sinnsuche erklären.

In der „speziellen Existenzanalyse“ wird das spezifische, individuelle Leben einer Person oder einer Gruppe auf mögliche existenzielle Wurzeln einer psychischen Störung untersucht. In diesem Zusammenhang bildet sie die Grundlage für eine Logotherapie als spezifische Therapie, die über den „existenziellen Kern“ vorgeht. Der therapeutische Wert der Existenzanalyse liegt also in der Erhellung der konkreten existenziellen Situation und der Vorbereitung auf die Hilfestellung bei der – autonomen – Sinnsuche.

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