Englands letzte Hoffnung war 47 Jahre alt, kam aus einer unbedeutenden Familie, besaß nur noch einen Arm und schockierte mit einem skandalösen Privatleben. Dennoch erhielt Horatio Nelson 1805 den Oberbefehl über die Flotte, die die britischen Inseln vor einer Invasion Napoleons I. schützen sollte. Am 21. Oktober 1805 stellte der Admiral die zahlenmäßig überlegene französisch-spanische Armada vor Kap Trafalgar unweit der Straße von Gibraltar. Sein Sieg rettete England und legte den Grundstein für sein neues weltumspannendes Empire.

Das ist die Fallhöhe der Gegenstände, die das Auktionshaus Sotheby’s am 17. Januar in London zur Versteigerung aufrufen will. Das wichtigste Stück dürften die Reste einer britischen Flagge sein: eines Union Jack, der von Nelsons berühmtem Flaggschiff „HMS Victory“ stammt. Hinzu kommen weitere Devotionalien, die das Herz eines patriotischen Briten zum Pochen bringen dürften, etwa eine Truhe, in der Nelson seinen Rum aufbewahrte, oder auch eine Reihe pikanter Liebesbriefe an seine Mätresse Lady Hamilton.

HANDOUT - Die vom Auktionshaus Sotheby's zur Verfügung gestellte undatierte Aufnahme zeigt einen Teil einer Union-Jack-Flagge (Victory Jack) die mit der Seeschlacht von Trafalgar im Jahr 1805 und dem Kommandeur der britischen Flotte, Admiral Nelson, in Verbindung gebracht wird. (zu dpa's zur Verfügung gestellte undatierte Aufnahme zeigt einen Teil einer Union-Jack-Flagge (Victory Jack) die mit der Seeschlacht von Trafalgar im Jahr 1805 und dem Kommandeur der britischen Flotte, Admiral Nelson, in Verbindung gebracht wird. (zu dpa

Dieser Union Jack soll auf der „HMS Victory“ geweht haben

Quelle: dpa

In welchen nationalen Sphären die Stücke einzuordnen sind, zeigt auch ihr Ursprungsort. Die 1760 in Dienst gestellte „Victory“ wird noch immer in der Liste der aktiven Schiffe der Royal Navy geführt. Sie liegt in einem Trockendock im Hafen von Portsmouth und dient als Touristenmagnet und Forum für offizielle Empfänge. Als Nationalheiligtum symbolisiert das Linienschiff noch immer die (vergangene) Größe der britischen Seemacht.

Der Tag von Trafalgar gehört in der Tat zu den großen Wendemarken der Geschichte. Nichts schien bis dahin den Siegeszug Napoleon Bonapartes, der sich ein knappes Jahr zuvor zum Kaiser der Franzosen gekrönt hatte, aufhalten zu können. Eine Armee von 160.000 Soldaten hatte er bei Boulogne-sur-Mer am Ärmelkanal für die Invasion Großbritanniens zusammengezogen. Auch in London zweifelte niemand daran, dass diese erfolgsgewöhnten Truppen in jeder offenen Feldschlacht triumphieren würden. Was Napoleon aber brauchte waren „24 Stunden“ freie Fahrt über den Kanal, wie er seinem Admiral Pierre-Charles Villeneuve einschärfte, „und alles ist vorbei“.

Rear Admiral Sir Horatio Nelson, 1798-1799. Probably the most famous portrait of Nelson, painted after his victory at the Battle of the Nile, from an earlier sketch. One of Britain's greatest military figures, Admiral Nelson (1758-1805) was the victor at a number of naval battles in the Napoleonic Wars, including the Battle of the Nile (1798), Copenhagen (1801) and most famously, Trafalgar (1805) where he was fatally wounded. | Verwendung weltweit, Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.'s greatest military figures, Admiral Nelson (1758-1805) was the victor at a number of naval battles in the Napoleonic Wars, including the Battle of the Nile (1798), Copenhagen (1801) and most famously, Trafalgar (1805) where he was fatally wounded. | Verwendung weltweit, Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.

Vizeadmiral Sir Horatio Nelson (1758-1805), Englands berühmtester Seeheld

Quelle: picture-alliance / /HIP

Der Mann, der das verhindern sollte, war der Sohn eines armen Landpfarrers, der nur durch die Förderung eines Verwandten die Chance erhielt, die Offizierslaufbahn der Marine einzuschlagen. Nelson war ein Autodidakt mit höchst rudimentärer Bildung, doch gerade das ließ ihn schnell Karriere machen. Denn er löste Probleme nicht nach dem Schulbuch, sondern mit dem gesunden Menschenverstand. Bereits mit 20 Jahren war er Kapitän, 1797 wurde er zum Admiral befördert. Ein Jahr später zerstörte er mit der französischen Flotte vor dem ägyptischen Abukir Bonapartes Traum, im Orient ein Imperium zu errichten. 1801 setzte er sich einmal mehr über die Befehle seines Vorgesetzten hinweg, als er die – neutrale – dänische Flotte vor Kopenhagen vernichtete.

Napoleon hatte Villeneuve die Hauptrolle in einem kühnen Plan zugedacht. Zunächst sollte er mit seinen Schiffen die britische Blockade des Mittelmeerhafens Toulon durchbrechen, sich bis in die Karibik durchschlagen und damit die Briten zur Verfolgung verleiten. Dann sollte der Franzose wenden und sich unbemerkt an seinen Verfolgern vorbei Richtung Kanal aufmachen, wo er es nur noch mit Teilen der Royal Navy zu tun haben würde. Tatsächlich konnte Villeneuve Nelson entkommen, aber auf dem Rückmarsch wurde er an der spanischen Nordwestküste von einem britischen Geschwader gestellt und zog sich – obwohl in Übermacht – nach Cádiz zurück.

Gemälde der HMS "Victory""Victory"

Gemälde der HMS „Victory“

Quelle: picture alliance / Heritage Imag

Nelson, der sich zwischenzeitlich nach London begeben hatte, bestieg die „Victory“ und nahm Kurs auf die Straße von Gibraltar. Sein Flaggschiff war Typschiff einer Klasse von großen Linienschiffen ersten Ranges, die während des Siebenjährigen Krieges auf Kiel gelegt worden waren. Es war 69 Meter lang, trug 104 Kanonen und war mit 850 Offizieren und Matrosen bemannt. Zwischenzeitlich wegen erheblicher Schäden außer Dienst gestellt war der Veteran im Krieg gegen Frankreich modernisiert worden. Zusammen mit wenigen Verstärkungen erreichte Nelson Ende September 1805 Cádiz, wo er das Kommando übernahm.

Nelsons Ruhm reichte aus, Villeneuve im Hafen zu halten. Erst als Napoleon mit seiner Abberufung drohte, stellte sich der Franzose zur Schlacht. Er verfügte zwar über mehr Schiffe und Kanonen, aber die Engländer besaßen die erfahreneren Mannschaften, die wesentlich schneller feuern konnten als ihre französischen und spanischen Gegner. Und sie hatten Nelson.

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Der pfiff auf die traditionelle Taktik, nach der sich Flotten in geschlossenen Kiellinien bekämpften. Stattdessen teilte er seine Schiffe in zwei Geschwader auf, die mit dem Wind im 90-Gradwinkel auf die französisch-spanische Linie treffen und durchschneiden sollten. Wenn das gelang, würde er an dieser Stelle eine zahlenmäßige Überlegenheit besitzen, denn die voranfahrenden Schiffe des Gegners würden Mühe haben, zu wenden und rechtzeitig in den Kampf einzugreifen.

Der berühmt gewordene „Nelson Touch“ gelang. Gegen zwölf Uhr durchbrachen die englischen Schiffe die feindliche Linie, vier Stunden später hatte Villeneuve 18 seiner 40 Schiffe verloren, weitere sanken in einem folgenden Sturm. Maßgeblichen beteiligt daran war die „Victory“, die als Führungsschiff dem Beschuss standhielt und mit ihrer überlegenen Artillerie mehrere gegnerische Einheiten zur Aufgabe zwang.

Der größte Verlust der Engländer war Nelson. Von einem französischen Scharfschützen schwer verwundet lebte er noch lang genug, um die Siegesnachricht zu erhalten. Dann starb er. Sein Leichnam wurde in einem Fass Alkohol nach England gebracht, wo ihm ein Staatsbegräbnis zuteil wurde. Für mehr als ein Jahrhundert sollte die Royal Navy die absolute Herrschaft über die Weltmeere sichern.

Emma, Lady Hamilton as Cassandra. From a private collection. ( Fine Art Images / Heritage Images) | Verwendung weltweit, Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.

Lady Emma Nelson (1765-1815) ließ sich gern als antike Schönheit porträtieren

Quelle: picture alliance / Heritage Imag

In diesem Zusammenhang dürften die Briefe an Lady Hamilton von einigem Interesse sein, die Sotheby’s zur Versteigerung bringt. Zwar war Nelson seit 1787 verheiratet, was ihn aber nicht hinderte, mit der Frau eines englischen Botschafters eine Ménage-à-trois zu führen. Lady Hamilton galt sein letzter Brief, den er kurz vor der Schlacht an Georg III. richtete. Darin vertraute er seine Geliebte der Großzügigkeit Georgs III. an, was diesen aber nicht hinderte, die Lady von Nelsons Begräbnis auszuladen und mit ihren Schulden allein zu lassen.

Experten von Sotheby’s rechnen damit, dass allein das Flaggenfragment der „Victory“ bis zu 113.000 Euro erzielen könnte. Das dürfte nicht übertrieben sein. Als 2009 ein 2,20 mal 3,50 Meter großer Union Jack mit einigen Einschusslöchern der Trafalgar-Schlacht in London zur Versteigerung kam, erzielte er mit umgerechnet 425.000 Euro das 25-Fache des Schätzpreises. Und diese Flagge hatte nicht über der „Victory“ geweht, sondern auf der „HMS Spartiate“, einem Linienschiff dritten Ranges.

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