Die FIGARO ARCHIVE – Österreicher gedenken heute des widerstandslosen Anschlusses ihres Landes. Am 12. März 1938 von deutschen Truppen überfallen, wurde es ein Satellit von Nazi-Deutschland.
Von Véronique Laroche-Signorile
Veröffentlicht am 12.03.2018 um 11:21
Eine Annexion inmitten internationaler Gleichgültigkeit. Am Tag nach dem Einmarsch in das österreichische Staatsgebiet, am 13. März 1938, wurde in Wien vom Balkon des Bundeskanzleramtes das „Anschluss“-Gesetz durch den neu ernannten Bundeskanzler Seyss-Inquart verkündet. Es legalisiert den Anschluss Österreichs an Deutschland: Laut erstem Artikel ist „Österreich ein Land des Deutschen Reiches“.
Seit seiner Machtergreifung wünscht Adolf Hitler im Namen des Pangermanismus den Anschluss Österreichs an das Dritte Reich. Er arbeitet auf dieses Ziel hin, indem er seine Bauern vorschiebt und seine Männer in dem begehrten Land platziert. Die endgültige Auflösung spielt sich Mitte März 1938 ab.
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Das Hitler-Ultimatum
Am 12. Februar 1938 wurde Bundeskanzler Kurt von Schuschnigg vom Führer nach Berchtesgaden gerufen, der ihm den Führer der österreichischen Nazi-Partei, Seyss-Inquart, als Innenminister aufdrängen will. Der österreichische Politiker versuchte dieses Vorhaben zu blockieren, indem er für den 9. März eine Volksabstimmung über die Erhaltung der österreichischen Unabhängigkeit ankündigte. Aber er gab wegen der an der Grenze massierten deutschen Truppen auf. Hitler fordert seinen Rücktritt und seine Ablösung durch Seyss-Inquart. Isoliert auf der internationalen Bühne – Paris, London und Rom blieben taub für seine Appelle – fügte sich Kurt von Schuschnigg am 11. März 1938 Hitlers Ultimatum. In einer ergreifenden Erklärung im Radio erklärte er, dass er der Gewalt nachgebe und gab bekannt, dass er der Armee befohlen habe, sich ohne Widerstand zurückzuziehen, falls deutsche Truppen ins Land kämen. Er beendet seine Rede mit den Worten: „Ich verabschiede mich vom österreichischen Volk mit einem deutschen Wort und einem Wunsch, der mir aus dem Herzen entspringt: ‚Möge Gott Österreich beschützen'“
Am nächsten Tag marschieren tausende deutsche Soldaten in das Land ein, ohne auf Widerstand zu stoßen. Der Anschluss wurde im darauffolgenden Monat von der Bevölkerung massenhaft ratifiziert, unter kaum demokratischen Bedingungen. Die Republik Österreich, 1918 beim Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie entstanden, wird nach zwanzigjährigem Bestehen hinweggefegt.
Hier der Artikel des Korrespondenten von Le Figaro in Wien, der von den dunklen Ereignissen berichtet: „Lebe wohl, schönes Österreich, lebe wohl von der Freude, in einem freien und geliebten Land zu leben.“
In Partnerschaft mit Retronews, der Presseseite des BnF
Artikel erschienen in Le Figaro am 12. März 1938.
„Finis Austriae!“
Wien, 11. März.
Finis Austriae. Hakenkreuze schweben in Wien, Innsbruck, Graz und Linz. Österreich hat gelebt. Verletzt wie noch kein Land zuvor, hat sich sein Schicksal heute erfüllt. Dieses Plebiszit, in dem endlich der Wille der Mehrheit des Volkes zum Ausdruck kommen sollte, hat Deutschland nicht stattfinden lassen. Bundeskanzler Schuschnigg hatte alles im Griff. Das sagte er selbst in seinem herzzerreißenden Abschiedsgruß an sein Volk. Er hatte kein Blut vergossen, er hatte sein Land nicht an die Kommunisten verkauft. Aber jeder wusste nur zu gut, dass er eine Mehrheit gewonnen hatte, weil sein Name die Unabhängigkeit Österreichs garantierte und weil das Volk unabhängig bleiben wollte. Bundeskanzler Schuschnigg appellierte an Europa.
„Ich habe der Gewalt nachgegeben“, sagte er. ‚Mir wurde ein Ultimatum gestellt. Leisten Sie den deutschen Truppen, die in das Land einmarschieren werden, keinen Widerstand, ich will nicht, dass meinetwegen Blut vergossen wird.“
Das Kanzleramt antwortet nicht mehr
Aber werden die Truppen in Österreich einmarschieren? Das Kanzleramt antwortet nicht. Es ist niemand mehr da, der uns die Wahrheit sagt. Einige sagen, dass zwei preußische Bataillone bereits in Linz sind, andere behaupten, dass Hitler angesichts der bedingungslosen Kapitulation Österreichs auf eine bewaffnete Intervention verzichtet hat.
Es war die Rede von einer provisorischen Regierung von Generälen, die von General Schilhawsky kommandiert werden sollte, und dann erfuhren wir, dass Herr Seyss-Inquart zum Kanzler ernannt wurde und Österreich bis zur Bildung einer endgültigen Regierung regieren würde. Soeben meldete der Rundfunk, dass Minister Seyss-Inquart noch im Gespräch mit dem Bundespräsidenten sei und dass er erst in einer halben oder dreiviertel Stunde das deutsche Volk in Österreich über die von ihm beabsichtigten Maßnahmen unterrichten werde.
Hitler! Hitler! Hitler!
General Göring und Minister Hess kamen um 10:45 Uhr in Wien an. Trunken vor Freude feiern die Nazis in Uniform ihren Sieg. Auf dem Kanzleramt schwebt das Hakenkreuz, auf dem Haus der Vaterländischen Front schwebt das Hakenkreuz, Männer marschieren mit Fackeln in der Hand auf den Ring, Rufe zerreißen die Luft: Hitler! Hitler! Hitler!
Der Minister für Inneres und Sicherheit spricht jede halbe Stunde zum Volk, ermahnt es zur Disziplin und verbietet jeden Widerstand gegen die Truppen, die zweifellos in wenigen Stunden in österreichisches Gebiet einmarschieren werden.
Österreich stirbt, ohne das Recht gehabt zu haben, sich zu verteidigen. Es ist alles vorbei.Aber noch einmal: Werden die Truppen kommen? Wird dieser Frevel, diese Gräueltat dem Land nicht erspart bleiben? Wie kann eine solche Ungeheuerlichkeit zugelassen werden? Hat sie den Becher nicht schon bis zum Rand ausgetrunken? Österreich liegt im Sterben, ohne das Recht gehabt zu haben, sich zu verteidigen. Alles ist vorbei. Zwanzig Jahre des Opfers, der Entbehrungen und des Mutes waren vergeblich, alle ausländischen Garantien waren vergeblich. Ein Land, das leben wollte, wird ohne Appell verurteilt, die Gewalt triumphiert. Adieu schönes Österreich, Adieu der Freude, in einem freien und geliebten Land zu leben. Heute Abend verneigen sich alle Österreicher, alle, die in der Tiefe ihres Herzens die brennende Liebe zu ihrem Vaterland hatten, eine Liebe, die in gewisser Weise bürgerlich war, eine Liebe, die bewegt und unendlich war, noch gedemütigter und zerrissener als in der tragischen Stunde der Niederlage von 1918.
Von Dominique Auclères